“Nachgefragt!”- im Gespräch mit Alicia Lindner, Geschäftsführerin und Mitinhaberin Börlind GmbH

Alicia Lindner lebt und verkörpert Naturkosmetik mit Leidenschaft. Gemeinsam mit ihrem Bruder Nicolas führt sie das Familienunternehmen Annemarie Börlind in dritter Generation, mit einem klaren Blick für Tradition und zugleich dem Mut, neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit und Innovation zu setzen.

Bei „Nachgefragt“ spricht sie u.a. über die Herausforderungen für echte Nachhaltigkeit in einem Markt, in dem Greenwashing noch immer verbreitet ist, die unterschiedlichen Erwartungen von Gen Z bis zu den Babyboomern an nachhaltige Kosmetik und warum Transparenz für Verbraucher immer wichtiger wird.

Naturkosmetik boomt, doch zahlreiche Brands setzen weiterhin eher auf Greenwashing als auf echte Nachhaltigkeit. Wie sollten sich Unternehmen in diesem umkämpften Markt glaubwürdig differenzieren?
Indem sie den Begriff Nachhaltigkeit nicht als Buzzword, sondern als Haltung verstehen. Für uns bei Börlind bedeutet Nachhaltigkeit, alle Unternehmensbereiche zu hinterfragen: von der Herkunft der Inhaltsstoffe über Lieferketten bis hin zur sozialen Verantwortung. Glaubwürdig ist nur, wer transparent kommuniziert – auch da, wo man noch nicht perfekt ist. Greenwashing ist wie Make-up ohne Hautpflege: Sieht kurz gut aus, bringt langfristig nichts.

Nachhaltigkeit wird von jeder Generation unterschiedlich wahrgenommen. Wie unterscheiden sich die Erwartungen und Kaufentscheidungen von Gen Z, Millennials und den Babyboomern in Bezug auf nachhaltige Kosmetik?
Da zeigt sich ein spannender Generationenmix: Babyboomer sind häufig treue Kund:innen, denen vor allem Wirksamkeit und Verträglichkeit wichtig sind. Millennials wollen beides: Wirkung und Werte. Die Gen Z ist oft die radikalste Gruppe – sie stellt ungeschönte Fragen, will absolute Transparenz und erwartet, dass wir Haltung zeigen. Ich finde das super, weil genau dieser Druck auch Innovation schafft.

Sind jüngere Verbraucher tatsächlich kritischer als ältere? Welche Rolle spielen Transparenz und Zertifizierungen für verschiedene Altersgruppen?
Kritischer im besten Sinne, ja. Jüngere Konsument:innen haben ein gutes Gespür dafür, ob Nachhaltigkeit wirklich gelebt oder nur ins Packaging gedruckt wurde. Zertifizierungen sind dabei hilfreich – aber kein Freifahrtschein. Für die Jüngeren zählt zunehmend der Impact: Was tut ein Unternehmen konkret? Ältere Generationen vertrauen eher auf etablierte Siegel. Beide Zielgruppen verdienen eine ehrliche Kommunikation – und genau die versuchen wir zu liefern.

Welche konkreten Maßnahmen gehen bei Ihnen über branchenübliche Umweltstandards hinaus und setzen neue Maßstäbe für nachhaltige Innovation in der Beauty?
Unsere Nachhaltigkeitsvision ist ambitioniert: Wir möchten hohe Standards für die Branche setzen. Konkret heißt das: ressourcenschonende Produktionsverfahren, regionale Lieferketten, unser eigenes Tiefenquellwasser – und der Anspruch, alle Verpackungen so kreislauffähig wie möglich zu gestalten. Wir gehen oft den unbequemen Weg, weil wir wissen, dass echter Wandel unbequem beginnt.

Welche strategischen Weichenstellungen halten Sie für notwendig, um Nachhaltigkeit in der Beauty als Standard zu etablieren?
Mut zur Selbstverpflichtung. Wer wirklich etwas verändern will, darf nicht nur auf politische Rahmenbedingungen warten. Außerdem brauchen wir gemeinsame Branchenstandards, die Greenwashing erschweren – und Konsument:innen, die mit ihrer Kaufentscheidung klar signalisieren: Nachhaltigkeit ist kein Nice-to-have, sondern Pflicht. Und ja, wir Unternehmen müssen endlich aufhören, uns hinter Komplexität zu verstecken.

Gerade im Kontext der nachhaltigen Beauty wird immer wieder vom “Skinimalism” gesprochen, also eine Verschiebung hin zur Anwendung von weniger, aber qualitativ hochwertigeren Produkten. Nehmen Sie dies tatsächlich Markt wahr?
Absolut. Die Zeiten von 12-Schritte-Routinen sind vorbei – zumindest für viele. Menschen suchen heute Produkte, die effektiv, verträglich und vielseitig sind. Und vor allem: die halten, was sie versprechen. Skinimalism ist für uns kein Trend, sondern eine Rückbesinnung auf Qualität statt Quantität. Unsere Mission seit 65 Jahren ist es, Produkte zu entwickeln, die in ihrer Wirkung so überzeugend sind, dass man nicht mehr braucht.

Die Kosmetikbranche zeichnet sich durch eine hohe Frauenquote aus, dennoch sind Frauen in Führungspositionen in Deutschland weiterhin unterrepräsentiert. Welche spezifischen Hürden sehen Sie, und welche Veränderungen sind notwendig, um mehr Frauen in CEO-Positionen zu bringen?
Das Grundproblem beginnt oft früher: Viele Frauen zweifeln länger, bevor sie sich eine Führungsrolle zutrauen – Männer tun es einfach. Was wir brauchen, ist ein Arbeitsumfeld, das nicht nur Diversität abbildet, sondern auch fördert. Flexible Modelle, echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Mentoring-Strukturen sind entscheidend. Das heutige System und die Denkweisen dahinter sind einfach überholt. Frauen wurden nicht mitgedacht. Deshalb muss es geändert werden.

Zu guter Letzt – Vervollständigen Sie bitte diesen Satz: „Naturkosmetik wird in 10 Jahren…“
…nicht mehr erklärt werden müssen. Weil sie zur Selbstverständlichkeit geworden ist – für die Haut, für den Planeten und für unsere Verantwortung als Unternehmen.