Stellungnahme des VKE-Kosmetikverbandes zur Finanzierung kommunaler Abwasserbeseitigungsanlagen durch die Kosmetikbranche nach der neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie

Im November 2024 hat die Europäische Union die Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/3019 über die Behandlung von kommunalem Abwasser, kurz: KARL) beschlossen. Sie sieht unter anderem die Einführung einer zusätzlichen, vierten Reinigungsstufe in kommunalen Kläranlagen vor. Die damit verbundenen Investitions- und Betriebskosten sollen zu mindestens 80% von der Kosmetik- und Pharmabranche getragen werden (sog. erweiterte Herstellerverantwortung). Dagegen wendet sich der VKE-Kosmetikverband gemeinsam mit der Pharmabranche.

Der VKE-Kosmetikverband unterstützt zwar die neue Kommunalabwasserrichtlinie als Teil des European Green Deal. Dringend überdacht werden muss jedoch das in Art. 9 und 10 der Richtlinie geregelte Konzept der sog. erweiterten Herstellerverantwortung sowie die derzeit geplante Umsetzung. Wir fordern:

  • Das Konzept der erweiterten Herstellerverantwortung in der Kommunalabwasserrichtlinie sollte zurückgenommen werden.
  • Zumindest aber muss die Richtlinie überarbeitet werden, um die Belastung unserer Branche wesentlich zu verringern und die Kosten der vierten Reinigungsstufe verursachergerecht –  substanzbasiert statt sektorbasiert – sowie auch im Übrigen europarechts- und verfassungskonform zu verteilen.

Diese Ziele werden wir sowohl auf europäischer Ebene verfolgen als auch gegenüber einem neuen Bundestag und einer neuen Bundesregierung, die die europäischen Vorgaben in deutsches Recht umsetzen müssen. 

Erweiterte Herstellerverantwortung ist aus der Zeit gefallen

Das Konzept der erweiterten Herstellerverantwortung untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hersteller durch zusätzliche Bürokratie und Kosten. Zusätzliche Bürokratie entsteht vor allem dadurch, dass Hersteller sich einer Organisation zur Wahrnehmung der Herstellerverantwortung anschließen und regelmäßige Berichte über die Menge der in Verkehr gebrachten Stoffe in ihren Produkten vorlegen müssen. Dieser Neuaufbau bürokratischer Strukturen ist mit dem jüngst vorgestellten „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ der Europäischen Kommission unvereinbar.

Die vorgesehene Abgabe belastet die Finanzkraft der Unternehmen in ohnehin schwierigen Zeiten und bremst damit Innovation und Investitionen in Europa aus, statt sie zu fördern. Die EU-Kommission hat zudem die Kosten für die Modernisierung der Kläranlagen in der Union drastisch unterschätzt. Während die EU-Kommission die jährlichen Kosten für das EU weit auf ca. 1,2 Milliarden Euro veranschlagt, schätzt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) die jährlichen Ausgaben allein für Deutschland auf rund 1,2 Milliarden Euro.[1] Die schwerwiegenden Folgen der erweiterten Herstellerverantwortung, nicht zuletzt auf die Volksgesundheit, konnten zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie deshalb nur unzureichend erkannt werden.

Die erweiterte Herstellerverantwortung nach der Kommunalabwasserrichtlinie dient dazu, die Kosten für die vierte Reinigungsstufe nicht über Abwassergebühren den Bürgerinnen und Bürgern aufzuerlegen. Sie werden die Kosten letztlich aber trotzdem tragen. Denn Hersteller werden die zusätzlichen Kosten soweit wie möglich umlegen und damit Produkte des täglichen Bedarfs verteuern. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen die vierte Reinigungsstufe dann zwar nicht über die Abwassergebühr, aber über höhere Kosten für Arzneimittel und Kosmetika.

Wir halten die erweiterte Herstellerverantwortung auch mit Blick auf das Verursacherprinzip nicht für erforderlich. Denn nach deutschem Recht sind die Abwassergebühren und ihre Veranlagung bei den Einleitern in der produzierenden Industrie und den Grundstückseigentümern, bei denen das Abwasser durch Verwendung der Produkte anfällt, bereits verursachergerecht verortet.  Die Finanzierung der Kosten der vierten Reinigungsstufe über die Abwassergebühren fügt sich ohne weiteres in die Systematik der deutschen Finanzverfassung und die rechtlichen Anforderungen an die Erhebung von Gebühren und Abgaben ein.  Die von KARL vorgesehene Herstellerverantwortung ist hier ein Fremdkörper.

Übermäßige Inanspruchnahme der Kosmetikhersteller verhindern

Selbst wenn man aber am Konzept der erweiterten Herstellerverantwortung festhält, kann sie in der Form der Kommunalabwasserrichtlinie keinen Bestand haben. Gemeinsam mit der Pharmaindustrie soll die Kosmetikbranche mindestens 80 % der entstehenden Kosten tragen. Das obwohl zahlreiche weitere Industrien Stoffe in den Verkehr bringen, die letztlich als Mikroschadstoffe in das kommunale Abwasser gelangen und eine vierte Reinigungsstufe erforderlich machen. Unberücksichtigt bleiben beispielsweise Einträge von Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Wasch- und Reinigungsmitteln, Baustoffen und Gebrauchsgegenstände aus dem Alltag[2] wie. z.B. Abrieb von Autoreifen oder bestimmte Imprägnierungen bei Textilien.

Diese willkürliche Beschränkung der erweiterten Herstellerverantwortung auf die Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetika widerspricht dem Prinzip der Verursachergerechtigkeit, da sie die Verantwortung einseitig auf lediglich zwei Industrien beschränkt. In dieser Form ist die gerechte und gleiche Behandlung aller tatsächlichen Verursacher nicht garantiert. Da die Beschränkung auch ohne sachlichen Grund erfolgt, ist sie auch rechtlich angreifbar.

Ebenso angreifbar ist die Fixierung auf 80 % der Kosten. Die Kosmetikindustrie kann ihre erweiterte Herstellerverantwortung allenfalls zu einem fairen Anteil wahrnehmen, und zwar für die Schadstoffe, die unsere Produkte tatsächlich nachweisbar in die Abwässer freisetzen. Dies ist mit dem jetzigen Entwurf nicht gegeben. Die EU-Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf eine von Joint Research Centre (JRC)[3] durchgeführte Studie, die fehlerhaft interpretiert wurde und somit fatale Folgen für die Kosmetikindustrie hat.  Eine Analyse der JRC-Studie durch Cosmetics Europe[4] zeigt, dass die Auswirkungen von Kosmetika nur etwa ein Prozent der gesamten ökotoxischen Belastung ausmachen. Daher kann von der Kosmetikindustrie nicht verlangt werden, dass sie zusammen mit dem Pharmasektor mindestens 80 Prozent der Kosten für die Ausstattung der kommunalen Klärwerke über die erweiterte Herstellerverantwortung finanziert.

Zudem führt die aktuelle Fassung der Richtlinie zu erheblichen bürokratischen Anforderungen, die sowohl die Industrie als auch Behörden und öffentliche Institutionen unverhältnismäßig belasten würden, wie etwa durch umfangreiche Mess- und Kontrollsysteme entlang sämtlicher Kläranlagen, komplexe Berichts- und Dokumentationspflichten für Unternehmen sowie die Schaffung neuer Überwachungsstrukturen zur Datenverwaltung und Kontrolle. Hinzu kommt eine gegenüber den herkömmlichen Abwassergebühren deutlich erschwerter Schutz vor ungerechtfertigten Kostenbelastungen und Verschwendung öffentlicher Mittel durch Kläranlagenbetreiber: Bisher kann jeder Gebührenschuldner Abwassergebührenbescheide durch die Verwaltungsgerichte überprüfen lassen. Vielfach werden hier Fehler festgestellt, die Gebührenreduzierungen zur Folge haben.  Im System der Herstellerverantwortung nach KARL ist diese notwendige Kontrolle für die vierte Behandlungsstufe nicht mehr vorgesehen.

Hintergrund

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben im November 2024 die neue Richtlinie (EU) 2024/3019 über die Behandlung von kommunalem Abwasserverabschiedet. Demnach müssen nach dem 31. Dezember 2033 in einem gestuften Prozess kommunale Kläranlagen technisch so ausgerüstet sein, dass zusätzlich zu den bisher vorgeschriebenen Stoffen auch sogenannte Mikroschadstoffe aus dem Abwasser gefiltert werden, die sogenannte vierte Reinigungsstufe.

Durch die herkömmlichen drei Behandlungsstufen kann bereits ein Großteil schädlicher Stoffe aus dem Abwasser entfernt werden. Dennoch gelangen aber bestimmte wasserlösliche und biologisch schwer abbaubare Substanzen in die Gewässer, vor allem Mikroschadstoffe.

Mikroschadstoffe stammen aus einer Vielzahl von Quellen, darunter Haushalte, Industrie und Landwirtschaft. Sie verfügen über eine hohe Stabilität und verbleiben daher lange im Wasserkreislauf.

Um den Eintrag von Mikroschadstoffen zu verringern, ist der Ausbau von ausgewählten Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ein sinnvoller Beitrag.  Der VKE-Kosmetikverband begrüßt grundsätzlich die Novellierung der Richtlinie. Wir halten sie für überfällig und notwendig, um die bisherigen EU-Vorschriften zur Abwasseraufbereitung besser mit den Zielen des europäischen Green Deal zu vereinbaren und Bürgerinnen und Bürger vor unzureichend gereinigtem Wasser zu schützen.

Die Richtlinie sieht zur Finanzierung der vierten Reinigungsstufe die Einführung einer erweiterten Herstellerverantwortung vor. Künftig müssen Produzenten von Arzneimitteln und Kosmetika unter Berufung auf das Verursacherprinzip die Reinigungskosten für Mikroschadstoffe im kommunalen Abwasser tragen. Diese zwei Sektoren sollen mindestens 80 Prozent der zusätzlichen Ausgaben für die vierte Reinigungsstufe finanzieren, während andere Industrien weiterhin ausgenommen bleiben.

 

 

 

[1] „Kosten und verursachungsgerechte Finanzierung einer vierten Reinigungsstufe in Kläranlagen“ civity Management Consultants im Auftrag des BDEW (2018)
[2] „Spurenstoffe und vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen“- Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz https://www.stmuv.bayern.de/themen/wasserwirtschaft/abwasser/spurenstoffe.htm ; Zugriff am 08.01.2025
[3]„European scale assessment of the potential of ozonation and activated carbon treatment to reduce micropollutant emissions with wastewater”. Ref. Ares (2022) 772201, Zugriff am 09.12.2024
[4] „Legislative proposal for the revision of Urban Wastewater Treatment Directive EPR feasibility report VS JRC study“ Cosmetics Europe (2023). https://cosmeticseurope.eu/files/7516/9650/4638/UWWTD_JRC_study_VS_EPR_feasibility_report_10_2023.pdf Zugriff am 08.01.2025